Wenn das System nicht trägt: Mein persönlicher Abschied vom Kindergarten
Vier Jahre lang war ein Kindergarten in Wien der Mittelpunkt meines Lebens. Weil ich gekämpft habe. Für mein Kind, dass die Welt ein wenig anders wahrnimmt. Intensiver fühlt und denkt.
Bereits in der Eingewöhnungsphase zeigte sich, dass Übergänge, Reize und die Gruppenstrukturen eine Herausforderung für es sind. Doch statt auf Verständnis traf ich auf eine Vorwurfshaltung: Ich kann nicht loslassen hieß es; ich soll die Verabschiedung kurz halten und nicht so lange in der Garderobe mit ihm sitzen. Ich soll es früher bringen. Nicht selber bringen, sondern den Papa lassen. Aber all die Empfehlungen halfen uns nicht. Zumeist war ich froh, dass wir überhaupt im Kindergarten ankamen. Entweder brauchten wir in der Früh extrem lange und viel Anstrengung bis es soweit war oder es war ihm aufgrund der Überreizung überhaupt nicht möglich zu gehen. Ein regelmäßiger Besuch war daher jahrelang nicht möglich. Unsere Fehlzeiten – auch krankheitsbedingte Ausfälle kamen dazu – wurden kritisch gesehen und eben nicht als Ausdruck von Überforderung. Ich versuchte immer wieder Brücken zu bauen – zwischen meinem Kind und dem Kindergarten, der ihm oft zu laut und die Kinder und Regeln zu viel waren. Führte Gespräche mit den Pädagoginnen, klärte während des Diagnoseprozesses über den aktuellen Stand und weitere Schritte auf, gab Informationsmaterial weiter. Denn ich wusste, ohne meinen Einsatz dafür, Verständnis für ihn zu schaffen und den institutionellen Rahmen für ihn anzupassen, wird er in seiner Gruppe nicht bleiben können.
Dafür habe ich viel investiert: Zeit, Energie und Herzblut. Im 3. Kindergartenjahr wurde ich Elternvertreterin der Gruppe und blieb es zwei Jahre lang, weil die anderen Eltern mein Engagement sahen. Auf deren Wunsch organisierte ich einen Englischkurs und regelmäßige Eltern-Kind-Treffs. Trotz der Verhaltensauffälligkeiten meines Kindes hielt ich fest – weil ich glaubte, wenn ich mich nur genug für den Kindergarten einsetze, genug mache, erkläre und unterstütze, dann wird das gesehen. Dann wird es besser.
Dann kam meine neurotypische Tochter in den Kindergarten, in eine andere Gruppe mit anderen Pädagoginnen. Sehr zu meinem Leidwesen wiederholte sich dieses Muster. Wieder war der morgendliche Gang in den Kindergarten und vom Kindergarten nach Hause schwierig, wieder Klammern, bitterliches Weinen, massiver Widerstand beim Ausziehen und Hineingehen in die Gruppe, Wutanfälle unterwegs und zu Hause und viele krankheitsbedingte Fehlzeiten. Ihre schwierige Eingewöhnung stieß entgegen meiner Hoffnung nicht auf Verständnis und die Bereitschaft, gemeinsam für sie lösungsorientiert daran zu arbeiten etwas zu verändern. Dabei wollte ich auch bei ihr nur, dass sie gesehen wird und sich dort wohlfühlt. Und da begriff ich: es geht nicht darum, wie sehr ich mich anstrenge und bemühe, dass der Kindergarten für unsere Kinder funktioniert. Sondern es geht darum, ob das System Kindern wie meinen Raum gibt.
Der Kindergarten ist gut – aber nicht für uns
Als ich die Zusage für den Kindergartenplatz erhielt, dachte ich, wir hätten den richtigen Bildungsort für unsere Kinder gefunden. Und vielleicht war er das auch – für eine Version meiner Kinder, die funktioniert, mitmacht, sich anpasst und nicht auffällt. Aber nicht für unsere Kinder und nicht für unsere Lebensrealität. Und das tut weh. Weil ich eben dachte, wenn wir uns bemühen, in den Dialog treten und uns anstrengen, dann wird es doch noch passen.
Aber das hat es nicht. Ich habe lange gebraucht um zu erkennen, dass es kein persönliches Scheitern war sondern, dass es ein strukturelles Problem ist.
Warum ich das schreibe?
Ich schreibe das nicht, um Schuld zu geben. Ich schreibe, weil ich im Rahmen des Neurodivergenzcafés letzte Woche erkannt habe, dass viele Kinderbetreuungseinrichtungen (auch reformpädagogische) nicht auf neurodivergente Kinder vorbereitet sind. Und wir Eltern daher ständig zwischen den Stühlen sitzen und uns zwischen den Bedürfnissen unserer Kinder und den Anforderungen des Kindergartens in den Rollen als Erklärerinnen, Vermittlerinnen und Verteidigerinnen aufreiben. Oft alleine. Und ich mir wünsche, dass Eltern wie wir, die ohnehin viel tragen, nicht auch noch darum kämpfen müssen gehört und verstanden zu werden. Ich schreibe auch, weil ich meine Erfahrungen nicht verschweigen möchte. Denn sie sind keine Ausnahme – gemeinsam sind wir weniger allein.
Für uns ist dieser Lebensabschnitt nun zu Ende. Wir gehen weiter mit allem was wir gelernt haben und mit der Hoffnung, dass wir mit Schule und Kindergruppe nun einen Ort finden, wo unsere Kinder hineinfinden ohne, dass sie sich verbiegen müssen.
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