Wenn die Kindergarteneingewöhnung schwer fällt – und welche Rolle Neurodivergenz dabei spielen kann

Die Kindergarteneingewöhnung ist für viele Familien ein großer Meilenstein. Oft wird dabei erwartet, dass Kinder nach einer gewissen Zeit „ankommen“ und sich der neue Alltag einspielt. Doch was, wenn genau das nicht passiert? Wenn statt Vorfreude und Neugier Tränen, Rückzug oder Wut die Tage bestimmen?

Wenn Überforderung sichtbar wird

Überforderung bei der Eingewöhnung zeigt sich auf ganz unterschiedliche Weise. Häufige Anzeichen sind:

  • Starke Müdigkeit nach kurzen Aufenthalten
  • Weinen oder Klammern vor oder nach dem Kindergartenbesuch
  • Widerstand gegen Routinen (Essen, Anziehen, Spielangebote) und am Weg nach Hause
  • Verändertes Verhalten zu Hause: erhöhte Reizbarkeit, Schlafprobleme oder Rückzug
  • Körperliche Symptome wie Bauchweh oder Kopfschmerzen ohne medizinischen Befund

Wichtig ist: Diese Reaktionen bedeuten nicht automatisch, dass etwas „falsch läuft“. Sie zeigen, dass das Kind gerade an seiner Grenze ist – und Unterstützung braucht.

Warum Neurodivergenz eine Rolle spielen kann

Nicht jedes Kind, das Schwierigkeiten beim Ankommen hat, ist neurodivergent. Aber bei manchen steckt mehr dahinter als eine längere Eingewöhnungsphase.

Hinweise können sein:

  • Hochsensibilität: Geräusche, Farben, viele Kinderstimmen oder Bewegungen sind schnell zu viel.
  • ADHS/ASS-Anteile: Schwierigkeiten, Reize zu filtern, plötzliche Wutausbrüche, Hyperfokus auf einzelne Themen, provozierendes Verhalten, das Abgeben und Abholen dauert übermäßig lange, weil Schwierigkeiten mit Übergängen und Veränderung.
  • Bedürfnis nach Struktur und Rückzug: Das Fehlen klarer Rückzugsmöglichkeiten kann enorm belasten.

Gerade bei Hochsensibilität, ADHS- oder Autismus-Spektrum kann die Eingewöhnung besondere Begleitung erfordern: weniger Druck beim Abgeben, mehr Pausen, klarere Strukturen. Wenn das Umfeld darauf eingeht, entsteht Sicherheit – und damit die Chance, dass das Kind auch wirklich ankommen kann.

Wann es Zeit für eine Pause ist

Manchmal ist der beste Schritt, die Eingewöhnung zu unterbrechen oder neu zu gestalten. Das ist keine Niederlage, sondern Fürsorge. Wenn sich ein Kind trotz Wochen der Gewöhnung nicht entspannt, die Belastung zunimmt oder auch zu Hause deutliche Stresssignale sichtbar werden, darf man einen Stopp wagen.

Warnsignale sind:

  • Anhaltende emotionale Überforderung, ohne dass sich Entlastung zeigt
  • Körperliche Stressreaktionen, die sich häufen (Bauchweh, Schlafprobleme, Erschöpfung)
  • Deutliche Verhaltensänderungen zu Hause, wie Rückzug oder extreme Trotzreaktionen
  • Fehlende Bindung zur Betreuungsperson und kein Gefühl von Sicherheit
  • Keine Entspannung nach mehreren Wochen, sondern zunehmende Belastung

Oft reicht eine Pause, um negative Erfahrungen abzufedern und dem Kind die Zeit zu geben, die es gerade braucht.

Warum frühes Erkennen wichtig ist

Eine behutsame, feinfühlige Eingewöhnung kann negative Erfahrungen abfedern. Wird Überforderung jedoch ignoriert oder mit Druck beantwortet („Wenn die Eltern nur wollen, dann wird sich das Kind auch eingewöhnen.“), kann das Vertrauen des Kindes in die Fremdbetreuung und die eigene Fähigkeiten nachhaltig erschüttert werden. Frühzeitige Unterstützung verhindert, dass sich Muster von Angst, Rückzug oder Vermeidungsverhalten verfestigen und spätere Schulschwierigkeiten und Verhaltensprobleme entstehen.

Was können Eltern tun?

  • Signale ernst nehmen, auch wenn sie subtil wirken
  • Das Tempo des Kindes respektieren statt sich von äußeren Erwartungen drängen zu lassen
  • Offen mit der Einrichtung darüber sprechen  – und sich im Zweifel fachliche Unterstützung holen bei Kinderärztinnen, Ergotherapeuten oder Psychologen
  • Rückzug zu Hause ermöglichen, wenn die Kindergarten-Umgebung viele Reize bietet wie zB Höhle bauen, Hörspiel hören
  • Vertrauen aufbauen, indem das Kind spürt: „Meine Gefühle sind richtig und wichtig. Ich werde gesehen.“
  • Alternative Betreuungsmöglichkeiten überlegen: Nicht jedes Kind fühlt sich in der Struktur eines Kindergartens wohl. Möglicherweise passen eine Tagesmutter oder eine Kindergruppe besser, wo die Anzahl der zu betreuenden Kinder geringer ist?

Und was ist mit den Eltern?

Nicht nur Kinder geraten in dieser Phase an ihre Grenzen – auch Eltern erleben Druck, Zweifel und manchmal Schuldgefühle. Umso wichtiger ist es, dass auch sie gut für sich sorgen:

  • Atmen: Augen schließen, dreimal bewusst tief in den Bauch ein- und ausatmen.
  • Mini Achtsamkeitsmomente schaffen mit dem 5-Sinne-Check: Kurz innehalten und sich fragen: Was sehe, höre, rieche, spüre, schmecke ich gerade?
  • Unterstützung suchen – bei Partnerin, FreundInnen, Fachleuten
  • Und sich bewusst machen: Eine gelungene Eingewöhnung ist kein Wettbewerb, sondern ein Prozess, der Stabilität und Geduld braucht.

Fazit: Vielfalt wahrnehmen – Sicherheit geben

Nicht jedes Kind, das länger braucht, ist neurodivergent. Aber wenn besondere Wahrnehmung oder Strukturen eine Rolle spielen, lohnt sich genaues Hinschauen. Kinder, die sensibler auf ihre Umwelt reagieren, brauchen keine „härtere Hand“, sondern mehr Verständnis, Schutzräume und Geduld.

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Was tun bei einem Shutdown? – Wenn Kinder „abschalten“

Als Eltern neurodivergenter Kinder stehen wir oft vor Situationen, die uns sprachlos machen: Plötzlich zieht sich unser Kind zurück, sagt vielleicht auch, dass es weg will von uns und allen Menschen – weil es nichts mehr hören, sehen und fühlen will. Es reagiert kaum noch auf uns und wirkt „wie abgeschaltet“. Dieses Verhalten wird in der Fachsprache als Shutdowns bezeichnet – ein Zustand, der sowohl für das Kind als auch für uns als Eltern herausfordernd sein kann.

Was ist ein Shutdown?

Ein Shutdown ist ein körperlicher und emotionaler Rückzug, der als Reaktion auf Überforderung, Stress oder Reizüberflutung auftreten kann. Bei unserem Kind war er die Reaktion auf das Ende des Kindergartens, anschließend in den Urlaub fahren und dann wieder zu Hause ohne feste Struktur sein.  Alles was ihm unter dem Jahr Struktur und Halt gibt pausiert während der Sommermonate und die Schule begann erst im September. Anders als ein Wutanfall, bei dem Energie nach außen entweicht, zieht sich das Kind bei einem Shutdown nach innen zurück. Es versucht, sich selbst zu schützen wenn ihm alles zuviel wird und Energie zu sparen, weil es mit den Anforderungen oder Reizen nicht mehr zurechtkommt.

Shutdowns treten häufig bei neurodivergenten Kindern auf, insbesondere bei ADHS, Autismus oder sensorischen Besonderheiten. Sie sind eine Art Selbstschutzmechanismus – kein „böses Verhalten“ und auch kein „Ungehorsam“.

Woran erkenne ich einen Shutdown?

Jedes Kind zeigt Shutdowns etwas anders. Häufige Anzeichen sind:

  •  Plötzliche Stille oder Rückzug
  • Kaum Reaktion auf Ansprache oder Berührung
  • Starres oder „leer wirkendes“ Gesicht
  • Energieverlust: das Kind wirkt erschöpft, die Bewegungen sind langsam oder mechanisch
  • Weinen, Zittern oder Körperversteifung
  • Suizidgedanken: das Kind sagt, dass es nicht mehr Leben will, dass alles aufhören soll, äußert Gedanken über wie es das erreichen will
  • Verweigerung von Kommunikation – auch einfache Anweisungen werden nicht umgesetzt

Manchmal dauert ein Shutdown nur wenige Minuten, manchmal Stunden. Wichtig ist: das Kind kann nicht einfach „angefeuert“ oder „überredet“ werden, aus diesem Zustand herauszukommen.

Was kann ich tun, um mein Kind zu unterstützen?

Bei einem Shutdown geht es nicht darum, das Kind „schnell wieder hochzufahren“, sondern Sicherheit, Entlastung und Stabilisierung zu bieten.

1. Ruhe und Sicherheit bieten

  • Bleibe selbst ruhig und gelassen.
  • Schaffe eine ruhige Umgebung: Licht dimmen, Lärm reduzieren, andere Kinder oder Haustiere aus dem Raum nehmen.
  • Körperliche Nähe nur, wenn das Kind sie zulässt – manchmal hilft ein sanftes Handauflegen, manchmal Abstand.

2. Überforderung erkennen und reduzieren

  • Überlege, welche Reize oder Situationen den Shutdown ausgelöst haben.
  • Entferne die auslösenden Faktoren, soweit möglich, oder schaffe zeitliche Pausen.

3. Bedürfnisse anerkennen

  • Akzeptiere, dass das Kind gerade nicht kommunizieren kann.
  • Sprich in klaren, ruhigen Sätzen, biete aber keine ständige Aufforderung.
  • Sätze wie „Du bist sicher, ich bleibe bei dir“ vermitteln Schutz ohne Druck.

4. Nach dem Shutdown sanft stabilisieren

  • Achte auf ausreichend Ruhephasen, biete deinem Kind Struktur und bekannte Routinen und Gewohnheiten.
  • Lass es verstärkt Dinge tun, die ihm Freude machen. Wenn es lacht bei dem was es tut, dann ist das ein gutes Zeichen, dass ihr das richtige gefunden habt.
  • Lasse das Kind nach Ruhephasen selbst entscheiden, wann es wieder aktiv werden möchte.
  • Biete kognitive Stimulation beim Zerlegen oder Aufbauen von Bausteinen
  • Vermeide sofortige Anforderungen oder Termine, die Druck erzeugen könnten.
  • Streiche am Abend vor dem Einschlafen eine 8 auf den Rücken oder backt Pizza in dem du den Rücken deines Kindes knetest, streichst und klopfst
  • Es kan zwischen 1-2 Wochen bis zur vollständigen Erholung dauern.

5. Vorbeugung für die Zukunft

  • Beobachte Muster: Wann tritt ein Shutdown auf?
  • Haltet euch weiterhin an strukturierte Tagesabläufe mit klaren Übergängen
  • Schaffe Raum fürs Austoben und Abreagieren
  • Plane aktiv sensorische Pausen ein um Überlastung vorzubeugen. z.B. in Form von Bewegung, Rückzugsorten (Höhle bauen) oder stiller Beschäftigung

Fazit

Ein Shutdown ist kein Versagen – weder des Kindes noch der Eltern. Vielmehr ist ein Signal des Körpers, dass das Kind Schutz und Entlastung braucht. Mit Ruhe, Struktur und empathischer Begleitung können Eltern ihr Kind durch diese Phasen tragen und ihm helfen, wieder in seine Stabilität zurückzufinden.

Shutdowns sind herausfordernd, aber sie sind auch ein Fenster zum Verständnis: Wir lernen, die Grenzen unseres Kindes zu sehen, seine Bedürfnisse zu respektieren und den Alltag so zu gestalten, dass Überlastung seltener wird.

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Wenn das System nicht trägt: Mein persönlicher Abschied vom Kindergarten

Vier Jahre lang war ein Kindergarten in Wien der Mittelpunkt meines Lebens. Weil ich gekämpft habe. Für mein Kind, dass die Welt ein wenig anders wahrnimmt. Intensiver fühlt und denkt.

Bereits in der Eingewöhnungsphase zeigte sich, dass Übergänge, Reize und die Gruppenstrukturen eine Herausforderung für es sind. Doch statt auf Verständnis traf ich auf eine Vorwurfshaltung: Ich kann nicht loslassen hieß es; ich soll die Verabschiedung kurz halten und nicht so lange in der Garderobe mit ihm sitzen. Ich soll es früher bringen. Nicht selber bringen, sondern den Papa lassen. Aber all die Empfehlungen halfen uns nicht. Zumeist war ich froh, dass wir überhaupt im Kindergarten ankamen. Entweder brauchten wir in der Früh extrem lange und viel Anstrengung bis es soweit war oder es war ihm aufgrund der Überreizung überhaupt nicht möglich zu gehen. Ein regelmäßiger Besuch war daher jahrelang nicht möglich. Unsere Fehlzeiten – auch krankheitsbedingte Ausfälle kamen dazu – wurden kritisch gesehen und eben nicht als Ausdruck von Überforderung. Ich versuchte immer wieder Brücken zu bauen – zwischen meinem Kind und dem Kindergarten, der ihm oft zu laut und die Kinder und Regeln zu viel waren. Führte Gespräche mit den Pädagoginnen, klärte während des Diagnoseprozesses über den aktuellen Stand und weitere Schritte auf, gab Informationsmaterial weiter. Denn ich wusste, ohne meinen Einsatz dafür, Verständnis für ihn zu schaffen und den institutionellen Rahmen für ihn anzupassen, wird er in seiner Gruppe nicht bleiben können.

Dafür habe ich viel investiert: Zeit, Energie und Herzblut. Im 3. Kindergartenjahr wurde ich Elternvertreterin der Gruppe und blieb es zwei Jahre lang, weil die anderen Eltern mein Engagement  sahen. Auf deren Wunsch organisierte ich einen Englischkurs und regelmäßige Eltern-Kind-Treffs. Trotz der Verhaltensauffälligkeiten meines Kindes hielt ich fest – weil ich glaubte, wenn ich mich nur genug für den Kindergarten einsetze, genug mache, erkläre und unterstütze, dann wird das gesehen. Dann wird es besser.

Dann kam meine neurotypische Tochter in den Kindergarten, in eine andere Gruppe mit anderen Pädagoginnen. Sehr zu meinem Leidwesen wiederholte sich dieses Muster. Wieder war der morgendliche Gang in den Kindergarten und vom Kindergarten nach Hause schwierig, wieder Klammern, bitterliches Weinen, massiver Widerstand beim Ausziehen und Hineingehen in die Gruppe, Wutanfälle unterwegs und zu Hause und viele krankheitsbedingte Fehlzeiten. Ihre schwierige Eingewöhnung stieß entgegen meiner Hoffnung nicht auf Verständnis und die Bereitschaft, gemeinsam für sie lösungsorientiert daran zu arbeiten etwas zu verändern. Dabei wollte ich auch bei ihr nur, dass sie gesehen wird und sich dort wohlfühlt. Und da begriff ich: es geht nicht darum, wie sehr ich mich anstrenge und bemühe, dass der Kindergarten für unsere Kinder funktioniert. Sondern es geht darum, ob das System Kindern wie meinen Raum gibt.

Der Kindergarten ist gut – aber nicht für uns

Als ich die Zusage für den Kindergartenplatz erhielt, dachte ich, wir hätten den richtigen Bildungsort für unsere Kinder gefunden. Und vielleicht war er das auch – für eine Version meiner Kinder, die funktioniert, mitmacht, sich anpasst und nicht auffällt. Aber nicht für unsere Kinder und nicht für unsere Lebensrealität. Und das tut weh. Weil ich eben dachte, wenn wir uns bemühen, in den Dialog treten und uns anstrengen, dann wird es doch noch passen.

Aber das hat es nicht. Ich habe lange gebraucht um zu erkennen, dass es kein persönliches Scheitern war sondern, dass es ein strukturelles Problem ist.

Warum ich das schreibe?

Ich schreibe das nicht, um Schuld zu geben. Ich schreibe, weil ich im Rahmen des Neurodivergenzcafés letzte Woche erkannt habe, dass viele Kinderbetreuungseinrichtungen (auch reformpädagogische) nicht auf neurodivergente Kinder vorbereitet sind. Und wir Eltern daher ständig zwischen den Stühlen sitzen und uns zwischen den Bedürfnissen unserer Kinder und den Anforderungen des Kindergartens in den Rollen als Erklärerinnen, Vermittlerinnen und Verteidigerinnen aufreiben. Oft alleine. Und ich mir wünsche, dass Eltern wie wir, die ohnehin viel tragen, nicht auch noch darum kämpfen müssen gehört und verstanden zu werden. Ich schreibe auch, weil ich meine Erfahrungen nicht verschweigen möchte. Denn sie sind keine Ausnahme – gemeinsam sind wir weniger allein.

Für uns ist dieser Lebensabschnitt nun zu Ende. Wir gehen weiter mit allem was wir gelernt haben und mit der Hoffnung, dass wir mit Schule und Kindergruppe nun einen Ort finden, wo unsere Kinder hineinfinden ohne, dass sie sich verbiegen müssen.

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Urlaub mit einem neurodivergenten Kind: Entspannt reisen, gemeinsam erleben

Der Gedanke an Urlaub weckt bei vielen Menschen Vorfreude – neue Orte entdecken, den Alltag hinter sich lassen und Zeit mit der Familie genießen. Für Eltern neurodivergenter Kinder kann dieser Gedanke aber auch viele Fragen und Sorgen aufwerfen: Wird das Essen gehen zu viel werden? Lieber ein Appartement und selber kochen? Wie können wir unterwegs mit sensorischer Überforderung umgehen? Und wie gelingt es, dass wir trotzdem Entspannung finden?

Die ersten Urlaube mit unserem neurodivergenten Kind waren für mich eine Herausforderung und ich scheiterte immer wieder an meinen Bemühungen eine Balance zwischen Struktur und etwas Neues Kennenlernen zu finden und zu halten. Wir mieden sehr lange Hotels und setzten auf Appartements und Selbstversorgung fernab überfüllter Hotelbuffets oder machten Urlaub zu Hause und unternahmen Tagesausflüge, weil mir das Wegfahren, der Ortswechsel und was die damit einhergehende Strukturänderung mit unserem Kind machte, zu anstrengend war.

Aber ich habe gelernt, dass mit guter Vorbereitung, entsprechenden Strategien und kleinen Anpassungen  auch der Urlaub mit neurodivergenten Kindern erholsam sein kann. Hier meine Tipps dafür:


1. Vorbereitung ist der halbe Urlaub

Je besser dein Kind weiß, was es erwartet, desto sicherer fühlt es sich. Viele neurodivergente Kinder profitieren davon, wenn sie sich auf Veränderungen einstellen können. Das gilt besonders für Reisen.

Visualisiere den Urlaub: Nutze Bilderbücher, YouTube-Videos, Fotos oder sogar Google Street View, um das Reiseziel und die Unterkunft gemeinsam anzuschauen.

Überlegt zusammen:  Frage dein Kind z.B. „Was möchtest du in den Urlaub mitnehmen?“ Wählt gemeinsam Aktivitäten aus oder besprecht, was euch Freude machen könnte – und was lieber vermieden wird.

Erstellt einen Ablaufplan: Ein strukturierter Tagesplan (gern auch mit Bildern oder Symbolen) gibt nicht nur im Alltag Orientierung.

Übt Situationen im Kleinen: Z. B. ein Besuch im Freibad als Generalprobe für den Strand, oder eine längere Autofahrt zu den Großeltern als Vorbereitung auf die Anreise.

 


2. Die Anreise stressfrei gestalten

Ob Auto, Bahn oder Flugzeug – Reisen bedeutet Wartezeiten, ungewohnte Geräusche, neue Menschen. Für viele neurodivergente Kinder kann das überfordernd sein.

Reisezeiten bewusst wählen: Wenn möglich, in der Nebensaison fahren oder fliegen – das minimiert Stress.

Vertraute Dinge mitnehmen: Kuscheltier, Knautschball, Kopfhörer, Tablet mit Lieblingsserien, Snacks – alles, was Sicherheit gibt und dein Kind gern mag.

Pausen einplanen: Gerade bei Autofahrten lieber einmal mehr anhalten und durchatmen. Erkundigt euch vorab der Reise, wo es entlang der Strecke Spielplätze oder Spielräume gibt.

Vorab informieren: Viele Flughäfen oder Bahnhöfe bieten barrierefreie oder entspannte Reiseoptionen (z. B. „Sunflower Lanyard“-Programme für nicht sichtbare Behinderungen).

Fidget Toys und Kausteine gegen die Anspannung: Halte sie im Rucksack bzw. im Handgepäck griffbereit.

Lärmreduzierende Kopfhörer: helfen da wo es laut ist z.B. am Bahnhof, im Zug, am Flughafen, im Flugzeug

Flexibel bleiben: Manchmal geht etwas schief – und das ist okay. Wenn du vorbereitet bist, ist das nur halb so schlimm.


3. Den Urlaubsort passend wählen

Nicht jedes Ziel ist geeignet. Und das ist kein Makel – sondern eine Gelegenheit, bewusst zu wählen, was zu eurer Familie passt.

Worauf sollt ihr dabei achten?

Vertraute Umgebung: Ihr wart bereits an einem Urlaubsort der euch gefallen hat? Ein Urlaub in einem Hotel oder einem Appartement, dass euer Kind bereits kennt, ist meist angenehmer und mit weniger Aufregung vorab verbunden, weil es sich nicht komplett auf eine neue Umgebung einstellen muss.

Individuelle Bedürfnisse beachten: Für manche Kinder ist der Besuch eines Familyparks ein Traum, anderen tut die Bewegung in der Natur gut – wähle entsprechend.


4. Den Aufenthalt flexibel gestalten

Manchmal läuft’s anders als geplant – und das ist völlig in Ordnung.

Hilfreiche Strategien:

Tagespläne mit Pufferzonen: Halte Zeitfenster für Ruhe oder spontane Planänderungen offen. Ersteres besonders nach reizintensiven Erlebnissen.

Rede mit deinem Kind: „Was brauchst du gerade?“ ist oft hilfreicher als „Warum machst du das?“

Nicht zu viel vornehmen, flexibel bleiben: Weniger ist mehr. Lieber eine Aktivität bewusst genießen als den Tag vollpacken.

Alltag beibehalten, wo möglich: Gleiche Schlafzeiten, bekannte Rituale – das gibt Struktur.

 

5. Die Rückreise und das Nach-Hause-Kommen

Auch die Rückkehr verdient Aufmerksamkeit – für viele Kinder ist das Umgewöhnen zurück in den Alltag herausfordernd.

Daher die Rückfahrt wieder vorbereiten: Mit Countdown („Nur noch 3 Tage, dann sind schlafen wir wieder in unseren Betten.“) oder gemeinsamem Packen. Besprechen, wie die Rückreise abläuft. z.B. „Zuerst fahren wir mit dem Bus zum Flughafen und dann fliegen wir mit dem Flugzeug wieder nach Hause.“

Übergang erleichtern: Ein ruhiger Tag zuhause vor dem Wiedereinstieg in den Kindergarten, in die Schule oder Alltag kann Wunder wirken.

Erlebnisse gemeinsam reflektieren: Das Kind fragen: „Was hat dir in unserem Urlaub am besten gefallen?“ oder „Woran erinnerst du dich gerne, wenn du an unseren Urlaub denkst?“, Fotos anschauen oder ein Mitbringsel sammeln oder kaufen.


Fazit

Beim Urlaub mit neurodivergenten Kindern geht es nicht darum, alles „normal“ zu machen, sondern den einen eigenen Weg zu finden – einen, der euch als Familie guttut. Inzwischen machen wir wieder Urlaub im Hotel. Denn das Wissen um die besonderen Bedürfnisse unseres Kindes und wie wir ihnen gerecht werden können, macht nun vieles leichter. Ich bin immer noch angespannt, wenn wir zum Essen ins Hotelrestaurant gehen. Aber wir schaffen auch das in dem ich meinem Kind Lautstärke senkende Kopfhörer aufsetze und wir proaktiv um einen Tisch bitten, der nach Möglichkeit draußen und oder eher abgelegen ist.


Hast du selbst schon Urlaub mit deinem Kind gemacht? Was hat für euch funktioniert – und was eher nicht? Ich freue mich über Austausch in den Kommentaren!

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Ist das normal – oder schon besonders?

Warum wir aufhören sollten, Kinder ständig zu vergleichen

„Jedes Kind entwickelt sich eben anders.“ oder „Es ist nur eine Phase.“ Ein Satz, den wir Eltern ständig hören – und trotzdem kaum glauben können, wenn unser Kind nicht so ist wie die anderen. Denn wir vergleichen automatisch. Schon in der Spielgruppe geht es los:

„Schläft sie schon durch?“
„Geht sie schon aufs Töpfchen?“
„Bei meinem Sohn geht das schon – Da hatten wir Glück. “

Und irgendwann wandelt sich die Neugier in stillen Zweifel: „Ist das noch normal? Oder schon… besonders?“

Wenn ein Kind schneller ist als andere – sprachlich, motorisch, sozial atmen viele Eltern innerlich auf. Wenn ein Kind aber langsamer ist, stiller, wilder, empfindlicher, untypischer – dann beginnt das Grübeln.
Und mit dem Grübeln kommt meist dann der Druck. In weiterer Folge wird das Kind mit anderen gleichaltrigen Kindern verglichen, Entwicklungstabellen werden gegoogelt und es entsteht das Gefühl, als Eltern versagt zu haben.
Aber: Kinder sind nunmal keine Maschinen und entwickeln sich in unterschiedlichem Tempo. Außerdem lernen auch nicht alle Kinder dasselbe zur gleichen Zeit – sondern das, was ihr Inneres gerade braucht und was sie interessiert. Manche lernen Sprechen bevor sie Laufen, andere wiederum sind motorisch geschickt, hinken aber in der Sprachentwicklung hinterher. Jedes Kind hat seine individuellen Stärken.

Entwicklung ist keine Checkliste

Ja, es gibt Entwicklungsfenster.
Ja, wir sollten aufmerksam sein, wenn ein Kind über lange Zeit bestimmte Fähigkeiten nicht zeigt.

Aber: Ein Kind, das mit 4 noch nicht bastelt, ist nicht automatisch „verzögert“.

Ein Kind, das lieber Tiere beobachtet als spricht, ist nicht „zu ruhig“. Ein Kind, das laut ist, lebendig, wild, unangepasst – ist nicht „zu viel“.

Es ist vielleicht einfach nur: anders. Und das ist nicht nur okay – es ist wichtig. Denn die Vielfalt kindlicher Entwicklung ist kein Fehler im System. Sie ist das System.

Was Vergleiche mit Kindern machen

Wenn Kinder spüren, dass sie verglichen werden – mit Geschwistern, Cousins, Klassenkameraden – dann spüren sie vor allem eines: Nicht-Genügen.

Ein Kind, das ständig hören muss, was es noch nicht kann, verliert die Lust am Lernen. Ein Kind, das merkt, dass andere scheinbar „weiter“ sind, fühlt sich klein. Und ein Kind, das ständig anpassen muss, was eigentlich in ihm lebt, verlernt, sich selbst zu vertrauen.

Kinder brauchen nicht den Vergleich – sie brauchen Beziehung. Und Erwachsene, die sehen, wer sie wirklich sind – nicht, wie sie sein sollten. Was Eltern stattdessen tun können:

  • Beobachten statt bewerten
    Was liebt mein Kind? Wobei blüht es auf? Wo wird es leise?
  • Statt Tabellen: echte Aufmerksamkeit.
  • Fragen stellen statt sofort eine Diagnose vermuten. Was könnte mein Kind gerade brauchen? Was überfordert es? Wo fühlt es sich sicher? Das öffnet Räume statt Angst zu machen.
  • Vertrauen statt Druck Entwicklung ist kein Wettlauf. Und nicht linear. Manchmal braucht ein Kind länger, um zu starten – und fliegt dann los.
  • Sich selbst entlasten. Viele Eltern fühlen sich verantwortlich, wenn ihr Kind „anders“ ist. Aber kein Kind wächst besser, weil wir uns sorgen. Es wächst, wenn wir liebevoll präsent sind.
  • Normal ist nur ein anderer Name für Durchschnitt und dein Kind ist kein Durchschnitt. Es ist ein Mensch mit einem ganz eigenen Tempo, ganz eigenen Farben und ganz eigenem Rhythmus. Vielleicht ist es laut, sensibel, wild, leise, verspielt, ernst, phantasievoll oder tief. Vielleicht auch alles zusammen und vielleicht fällt es auf – oder auch durchs Raster. Aber es ist genau richtig, wie es ist. Daher lasst uns aufhören, Kinder zu messen und stattdessen anfangen, sie wirklich zu sehen.

Du bist Mama oder Papa eines Kindes, das anders tickt? Dann bist du auf dieser Seite genau richtig. Denn hier feiern wir die Vielfalt im Denken, Fühlen und Wahrnehmen. Ich lade dich daher dazu ein, den Blick zu weiten – jenseits von Normen und Listen und dein Kind mit seinen Stärken zu sehen.

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Ein Kopf voll Farben

Stell dir vor, das Gehirn deines Kindes ist wie eine Farbpalette – voller leuchtender, einzigartiger Farben. Es denkt, fühlt und erlebt die Welt auf seine ganz eigene Weise. Genau das beschreibt der Begriff Neurodivergenz – eine natürliche Variation im menschlichen Denken und Wahrnehmen.

Vielleicht wurde bei deinem Kind Autismus, ADHS, Legasthenie oder etwas Ähnliches festgestellt. Oder vielleicht vermutest du es nur. In jedem Fall gilt: Dein Kind ist nicht „falsch“. Es ist einfach nur anders verdrahtet – und das ist nichts Schlechtes.

Was bedeutet Neurodivergenz?

Neurodivergenz beschreibt neurologische Unterschiede, die sich auf das Lernen, Verhalten, die Aufmerksamkeit oder die Reizverarbeitung auswirken. Dazu zählen unter anderem:

  • Autismus-Spektrum
  • ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung)
  • Hochbegabung
  • Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS)
  • Tourette-Syndrom
  • Legasthenie/Dyskalkulie (Lese- Rechtschreibschwäche/ Rechenschwäche)
  • Dyspraxie (Koordinations- und Entwicklungsstörung)
  • Dysgraphie (Schreibschwäche)
  • Dysorthographie (Rechtschreibstörung)

Diese Unterschiede sind keine Krankheiten im klassischen Sinne, sondern Teil der natürlichen menschlichen Vielfalt. Der Begriff neurodivers umfasst also Kinder (und Erwachsene), deren Gehirn anders funktioniert als das der Mehrheit (neurotypisch).

Was bedeutet das für uns Eltern?

Als Eltern ist es oft eine emotionale Reise: Vielleicht hast du dir Sorgen gemacht, vielleicht war da Erleichterung, mit der Diagnose endlich eine Erklärung zu haben. Wichtig ist: Du bist nicht allein. Und dein Kind braucht vor allem eines – jemanden, der es so sieht, wie es ist: einzigartig, klug, liebenswert und wertvoll.

Hier einige Tipps für den Umgang mit Neurodivergenz im Familienalltag:

  • Informiere dich: Wissen hilft, besser zu verstehen, was dein Kind braucht – und was nicht.
  • Stärke das Selbstbewusstsein deines Kindes: Es soll wissen, dass es okay ist, anders zu sein.
  • Akzeptiere Stärken und Schwächen: Fördere, was gut läuft und habe Geduld mit dem, was schwerfällt.
  • Suche Unterstützung: Fachleute, Selbsthilfegruppen oder andere betroffene Eltern können wertvolle Begleiter sein und Rückhalt geben.

Kindergarten, Schule, Alltag und Zukunft

Viele Eltern sorgen sich: „Wie wird das in der Schule werden?“ oder „Wird mein Kind je selbstständig und wird es später Chancen im Beruf haben?“ Diese Fragen sind berechtigt – aber die Antwort hängt stark davon ab, wie gut das Umfeld auf neurodiverse Kinder eingestellt ist.

Je früher ein Kind verstanden, gefördert und akzeptiert wird, desto größer sind seine Chancen, selbstbewusst und erfolgreich durchs Leben zu gehen – auf seinem eigenen Weg.

Fazit: Dein Kind ist genau richtig

Neurodivergenz ist keine Krankheit, sondern ein Hinweis darauf, dass dein Kind die Welt mit einem ganz besonderen Blick sieht. Es braucht keine „Reparatur“, sondern Menschen, die es dabei unterstützen, seine Stärken zu entfalten.

Ein Kopf voll Farben – das ist lebendig, mutig und wunderschön.

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